Vija Celmins ist seit den 1970er-Jahren für ihre eingängigen Sujets – Meere, Wüsten, Nachthimmel und Spinnennetze –, die sie in diversen Medien umsetzt, bekannt. In ihrer ersten Einzelausstellung in Österreich zeigt die Künstlerin über 70 Arbeiten aus ihrem druckgrafischen Oeuvre. Die von Vija Celmins selbst zusammengestellte Retrospektive in der Secession umfasst fünf Jahrzehnte ihres Schaffens: von Radierungen aus ihrer Studienzeit in den frühen 1960er-Jahren hin zu einer Reihe neuer, bislang nicht gezeigter Editionen.
Vija Celmins’ Motive basieren auf Fotografien und gefundenen Drucksachen: Sie isoliert diese Vorlagen von ihrem Ursprungskontext und führt sie in einem neuen Medium wieder zusammen. Durch die wiederholte Interpretation weniger Motive verschiebt sie die Aufmerksamkeit vom Motiv auf das Material, das sie in seinen spezifischen Eigenheiten und auf seine Wirkung hin untersucht. Innerhalb der großen Bandbreite an Medien, in denen Celmins arbeitet, kommt der Druckgrafik daher große Bedeutung zu: Sie steht gleichrangig neben Zeichnung, Malerei und Skulptur.
Die Drucke, für die Vija Celmins in Kupferplatten kratzt, Holz schneidet und auf Stein zeichnet, zeigen ihr großes Interesse an den verschiedenen handwerklichen Prozessen. Die Erkundung der traditionellen Drucktechniken und ihrer Möglichkeiten liegen in Celmins’ herausragenden zeichnerischen Fähigkeiten begründet. In den 1970er-Jahren begann sie mit dem der Zeichnung am nächsten stehende Flachdruckverfahren der Lithografie; am Beginn der 1980er-Jahre dominieren die Tiefdruckverfahren – Radierung, Mezzotinto und Holzschnitt. Die wohl häufigste Technik bei Celmins ist das Mezzotinto, bei dem die weißen Stellen aus der Druckplatte ausgeschabt werden: je tiefer, desto heller. Es erlaubt eine große Variation samtiger Halbtöne – ideal für Celmins, um aus ihren schwarz-weißen Vorlagen die farbigen Qualitäten der fein abgestuften Grautöne zu gewinnen.
Vija Celmins betreibt für ihre Drucke einen erheblichen handwerklichen Aufwand, jedoch verschleiern die Arbeiten oft ihre Herstellung und lassen erst bei eingehender Betrachtung ihren Nuancenreichtum und die Intimität des geduldigen Aneignungsprozesses erkennen. Über ihren Holzschnitt Ocean Surface (2000), der in einem fünfjährigen Arbeitsprozess entstanden ist, sagt die Künstlerin:
„… wenn man genauer hinsieht, kann man sehen, dass meine Markierungen so mechanisch nicht sind. Meine Hoffnung ist, dass Ruhe und Bewegung, Flächigkeit und Tiefe sich die Waage halten. Ich mag es, wenn die erste Erscheinung etwas verbirgt, sodass die Arbeit wie ein Foto aussieht, aber wenn man nahe herantritt, erkennt man, dass sie von Hand gemacht, in Holz geschnitten ist: eine Art Überraschung.“ (The Prints of Vija Celmins, The Metropolitan Museum of Art, New York 2002, S. 43)
Celmins’ Werke halten das Gleichgewicht zwischen Abstraktion und Abbild, zwischen Oberfläche und Proportion, zwischen der Andeutung von Bewegung und Reglosigkeit. Trotz ihrer kleinen Formate haben sie eine relativ große Weite. Viele der Bilder lassen an grenzenlose Räume und Handlungen denken, die eine neue, physisch gegenwärtige und unwandelbare Gestalt angenommen haben. Mit einer Struktur aus gleichwertigen Elementen und ohne perspektivische Fluchtpunkte bietet der Bildraum den BetrachterInnen keine räumliche Orientierung, sondern setzt sie der Totalität der Erfahrung von Meer, Wüste oder Sternenhimmel aus. An den Bildrändern wird dieser Eindruck jedoch gebrochen und auf das Material des Bildträgers Papier zurückgeführt, wodurch der Platzierung des Druckmotivs auf dem Blatt eine besondere Bedeutung zukommt. Dazu Vija Celmins in einem früheren Interview:
„Weil meine Bilder oft immer weitergehen, als wären sie endlos, muss ich ihnen behutsam ein Ende setzen. An den Rändern bricht man mit der Illusion eines fortlaufenden Raums und nimmt die Gemachtheit wahr – den Prozess, in dem das Werk als Fiktion entsteht.“ (Ebd., S. 14)
Vija Celmins has been known since the 1970s for memorable subjects—seas, deserts, nocturnal skies, spider webs—she renders in a variety of media. Celmins’s retrospective at the Secession is her first solo exhibition in Austria, for which she has selected over seventy works of graphic art from five decades; it surveys this strand of her oeuvre from work she created as a student in the early 1960s to several recent editions that have never been on public display.
Celmins uses images from photographs and found printed matter, stripping the sources of their original contexts and reassembling them in a new medium. The repetitive interpretation of a small number of motifs shifts attention from the image to the material for a probing examination of its specific qualities and effects. Printmaking thus occupies a central position among the many media Celmins works with, on a par with drawing, painting, and sculpture.
The prints, for which Vija Celmins scratches copper plates, incises wood surfaces, and draws on stones, illustrate her abiding interest in the various processes and making things by hand. Her exploration of traditional printmaking techniques and their potential is sustained by her outstanding skills. In the 1970s, she started with lithography, a planographic process that a strong affinity to drawing; starting in the early 1980s, she focused on intaglio processes: etching, mezzotint, and woodcutting. The most prolific genre in her printed oeuvre is the mezzotint, for which white areas are scraped out of the printing plate—the deeper the brighter—to produce a wide range of velvety halftones: an ideal technique for Celmins that allows her to translate her black-and-white photographic sources into subtly nuanced shades of gray.
Celmins’s prints are products of time-consuming craftsmanship; she works hard to achieve results that hide the labor that went into them. One must examine them carefully to discover the rich nuances and appreciate the intimate and patient engagement in which the artist has taken possession of her sources. As Celmins said of Ocean Surface (2000), a woodcut on which she worked intermittently for five years,
“… when you look closer you can see my mark is not so mechanical. I hope it’s a work where stillness and movement, flatness and depth are held together in a delicate balance. I like to hide things behind looks, so that the work looks like a photograph but when you get close you see it’s something handmade and carved from wood: a kind of surprise.” (The Prints of Vija Celmins, The Metropolitan Museum of Art, New York 2002, p. 43)
Celmins’s art maintains a delicate balance between abstraction and depiction, between surface and proportion, between the suggestion of movement and stillness. Their small formats belie their expansiveness. Many of the pictures evoke boundless spaces and actions that have crystallized in novel physically manifest and immutable forms. Structured by the equipollence of multiple elements and without perspectival vanishing points, the pictorial spaces withhold any sense of orientation, confronting the viewer with the total experience of sea, desert, or starry sky. That impression is gently undercut along the margins, where the support medium—paper—comes to the fore; the placement of the printed motif on the sheet is of particular significance. In an earlier interview, Celmins observed:
“Because my images tend to run on, as if they went on forever, they have to be carefully ended. At the edges one breaks the illusion of continuous space and sees the making process and that the work is really a fiction.” (ibid., p. 14)