Fiona Rukschcio thematisiert in ihren Filmen, Collagen und Projekten weibliche Rollenzuweisungen, Identitätsentwürfe und emotionale Grenzerfahrungen. In der Secession zeigte sie ihren 2012 produzierten Film retaped Rape . Ausgangspunkt und strukturelle Vorgabe dieser neuen Arbeiten ist der Film Rape von Yoko Ono und John Lennon aus dem Jahr 1969. Rukschcio hat das Werk, in dem eine junge Frau vom Kameramann durch London bis in ihre Wohnung verfolgt wird, mit den gleichen Kameraeinstellungen an den Originalschauplätzen nachgedreht, jedoch ohne Protagonistin. Den Film kennzeichnet eine gewalttätige und sexuell aufgeladene Atmosphäre. Die von der Kamera verfolgte Frau zeigt sich anfangs zwar geschmeichelt, wirkt jedoch zunehmend ängstlich und zutiefst verstört.
Rape gilt als eines der Werke, die brutal offenlegen, wie die Kamera ihr eigenes Regime etabliert und der/dem Gefilmten seine Herrschaft aufzwingt. Die strukturell voyeuristische und ausbeutende Natur des (männlichen) Blicks, wie er von Laura Mulvey in ihrem Essay ?Visual Pleasure and Narrative Cinema? (1973) beschrieben wurde, wird durch diese mediale Versuchsanordnung beispielhaft in Szene gesetzt. Die Kamera fokussiert, verfolgt und umkreist die Frau, kommuniziert also auf verschiedene Weise mit ihr als ihrem Gegenüber.
In retaped Rape ist die Kamera auf sich selbst zurückgeworfen und folgt einer unsichtbaren Spur. Damit befreit sie die Zusehenden aus der ursprünglichen Täterperspektive und macht mit diesem Kunstgriff sowohl die Perspektive des Opfers als auch das zeitliche Ausmaß der Gewalteinwirkung evident.
Elisabeth Büttner beschreibt diesen Zusammenhang in ihrem Katalogessay: ?Das Ereignis hat sich verlagert, es ist nicht sichtbar, es muss hergestellt werden. [?] Die Ideologie von 1969 wird dekomponiert. Es braucht kein sichtbares Objekt, keinen greifbaren Anlass, um das Werken der Kamera als mächtig, eingreifend, unablässig Wirklichkeit bildend und transformierend auszuweisen [?]. Das primäre Tauschverhältnis besteht nicht mehr zwischen einem begehrten und verfolgten Objekt und der Kamera, sondern zwischen Kamera und Kamerafrau sowie Kamera und ZuschauerInnen.?
?Unerbittlich geht Fiona Rukschcios Kamera ihren Weg. Vieles bleibt in ihrem Film retaped Rape ähnlich den Vor-Bildern von Yoko Ono und John Lennon, ist alles andere als eine Raub-Kopie, offenbart aber die weitaus hintergründigere Fratze als 1969. Vieles ist heute ganz normal geworden, vieles verstört wie damals. Der Umgang damit ist aber definitiv ein anderer, zeigt retaped Rape.?, schreibt Doris Krumpl in ihrem Katalogtext. Durch diese Verschiebung eröffnet Fiona Rukschcio eine Reihe von Fragen nach dem Zusammenhang von Kamerasprache, Blickregime und nicht zuletzt von Gewalt. Was verändert sich etwa, wenn hinter der Kamera nun eine Frau ist, während die Frau vor der Kamera fehlt?
Texte: Thomas Ballhausen, Elisabeth Büttner, Doris Krumpl
In her films, collages and projects, Fiona Rukschcio deals with the roles assigned to women, with identity construction, and with extreme emotional experiences. At the Secession, she is has shown her film retaped Rape (2012) and a series of photographs documenting the making of the film. These new works take their cue and their structure from the film Rape made by Yoko Ono and John Lennon in 1969. Rukschcio re-filmed the work, in which the cameraman pursues a young woman through London back to her apartment, recreating the same shots at the original locations, but without the woman.
Rape is known as one of the works that brutally reveal the way the camera establishes its own powerful gaze, to which it subjects those filmed. This voyeuristic and exploitative (male) gaze, as described by Laura Mulvey in her essay "Visual Pleasure and Narrative Cinema" (1973), is exemplified by the film's experimental structure. The camera focuses in on, pursues, and encircles the woman, communicating with her in various ways.
In retaped Rape, the camera is thrown back on its own resources, following an invisible trace. This frees the viewer from the original perpetrator perspective, thus highlighting both the viewpoint of the victim and the duration of the aggression.
In her catalogue essay, Elisabeth Büttner writes: "The event has shifted; no longer visible, it first has to be created. [?] The ideology of 1969 is being decomposed. Neither a visible object nor a concrete occasion are required in order to reveal the work of the camera as powerful, intrusive, ceaselessly forming and transforming reality. [?] The primary transactional relation is no longer between the camera and the desired, hunted object but between camera and camerawoman, camera and audience."
"Fiona Rukschcio's camera proceeds ruthlessly," writes Doris Krumpl in her catalogue essay: "In many ways, her film retaped Rape resembles the original images by Yoko Ono and John Lennon, but it is anything but a rip-off, and the ugly face it reveals is far more cryptic than in 1969. Many things have now become totally normal, many others have retained their power to disturb. But the way people deal with these things has definitely changed, as retaped Rape shows." With this shift, Rukschcio opens up a series of questions concerning the connection between camera language, the gaze and, not least, violence. What changes, for example, when the person behind the camera is a woman, while the woman in front of the camera is missing?
Texts by Thomas Ballhausen, Elisabeth Büttner, Doris Krumpl
Secession (Hg./Ed.)