Der »homo ludens« ist ein uralter Begriff, dessen Gehalt sich bei weitem nicht in der verballhornten Kurzübersetzung vom »Kind im Manne« erschöpft. Bereits der Psalmist spielte, Gott zu Gefallen: »Siehe, ich spielte vor Gott« jubelte er als Ausdruck des gegenseitigen Wohlgefallens zwischen dem alttestamentarischen Gott und als Produkt seines freien Spiels. Das Spiel als Schöpfungsakt, die Schöpfung als Ergebnis eines Spiels; durch die Fähigkeit, geistig zu spielen und selbst kreativ zu sein, unterscheidet sich der Mensch vom Tier und wird gottebenbildlich.
Julia Kissina situiert ihre Mischwesen liebevoll zwischen Schönheit und Schrecken, in einer heiter-anmutigen Wertfreiheit: Da sind sie, die wir uns schon immer erträumt haben, und manchmal blicken sie uns fragend an. Und manche scheinen uns zuzurufen: Und nun spielt mit uns, bezieht uns ein! Sie sind Spielzeuge im doppelten Sinne; Spielprodukte der schöpferischen Phantasie (der künstlerischen wie der wissenschaftlichen) und Spielobjekte der betrachtenden bzw. verwertenden Phantasie. Denn die Frage der Verwertbarkeit stellt sich angesichts dieser uns so ähnlichen Wesen schnell ein, in fast unschuldiger Weise: was für Vorteile könnte es bringen, drei Beine oder ein paar mehr Finger zu haben, wäre es nicht schön, schneller laufen oder mehr greifen zu können? Dass es Träume sind, zeigt die noch unvollkommene Art der Körpererweiterung, die Julia Kissina bewusst sichtbar macht: keine Computermanipulation, sondern Phantasie, die in Strümpfen steckt, im wahrsten Sinne des Wortes. Womit wir aber auch wieder bei den Träumen der Gentechnologen sind.
Fotografie Forum International/Leinwandhaus, Frankfurt/Main (2. Sept. ? 1. Okt. 2000); hrsg. v. Jürgen Ponto-Stiftung, Frankfurt/Main; mit Textbeiträgen von Sybille Ebert-Schifferer und Boris von Brauchitsch.
Frankfurt/Main 2000, 72 Seiten, 35 Farb-Abb., 30 x 21 cm, gebunden, Deutsch
ISBN 978-3-934823-01-3