Die abstrakten Skulpturen des amerikanischen Künstlers Vincent Fecteau widersetzen sich einer ein-fachen Beschreibung. Aus alltäglichen Materialien wie Papiermaché, Karton, Magazinbildern und Farbe schafft er komplexe Objekte, in denen Räume zusammen- und zugleich auseinanderfallen. Obwohl sie vielfach an die elementare Formensprache des beginnenden 20. Jahrhunderts erinnern und so unterschiedliche Assoziationen wie utopische Architektur, avantgardistische Bühnenbilder, Masken oder industrielle Fertigungsteile auslösen, bieten sie keine spezifischen Referenzen an, sondern bleiben rätselhaft. Hinter diesem konsequenten Entzug erkennbarer Bedeutung steht der Verweis des Künstlers auf die Skulptur als Skulptur und ihre Wirkkraft als reales Ding in der Welt.
Auf eine für ihn charakteristische Weise formt Fecteau in einem spielerischen Prozess des wechselhaften Zufügens und Entfernens einzelner Elemente verschlungene Volumen. Sein künstlerischer Prozess der Vergegenständlichung ist durch die Wahl des Materials Papiermaché entscheidend geprägt. Er macht sich zu Nutze, dass Papiermaché an sich keine produktive Funktionalität und kaum Bezüge zur uns umgebenden Welt beinhaltet, gleichzeitig aber eine große Formbarkeit besitzt und sich in Schichten flexibel auf- und abtragen läst. Die Skulpturen zeigen deutliche Spuren ihrer Herstellung und verweisen so stets auf ihre handwerkliche Produktion. Die Unmittelbarkeit der Bearbeitung des Materials durch die Hand des Künstlers, sein Kneten, Modellieren und Darüberstreichen ist ihnen deutlich eingeschrieben. Diese taktile Materialität verleiht den Objekten gemeinsam mit den monochrom strukturierten Oberflächen eine seltsame körperliche Präsenz. In ihrer eigenwilligen Ästhetik wirken sie ebenso barock-ornamental wie futuristisch-erotisch.
In den Deutungsprozess bezieht Vincent Fecteau die BetrachterInnen aktiv mit ein, denn abhängig vom jeweiligen Standpunkt eröffnen sich ihnen sehr unterschiedliche Ansichten. So zeigen sich Skulpturen beispielsweise an den Seiten eher als schmale, geschlossene Form, während ihre Vorder- und Rückansichten ähnlich einem Diorama oder Guckkasten vielschichtig gestaffelte und durchbrochene Räume offenbaren. Fortwährend überführt Fecteau eine formale Logik in eine andere und lotet so gezielt das Potenzial der Ambivalenz aus, um nach Widerständigkeiten gegenüber der Behauptung des Normalen und Normativen zu suchen. Die Ambivalenz erscheint somit nicht nur als ein formales Attribut, sondern wird zum eigentlichen Thema der Arbeiten, das auch ihre gesellschaftspolitische Dimension markiert.
Das aus Anlass einer Ausstellung in der Secession von ihm entwickelte Künstlerbuch betrachtet er als eigenständiges Objekt. Es lässt nicht nur seine große Faszination für Architektur, Inneneinrichtung und Dekoration erkennen, sondern weist auf vielen Ebenen ähnliche Überlegungen auf wie die parallel entstandenen Skulpturen. Die spezielle leporelloartige Bindung etwa etabliert eine Spannung zwischen sich zusammenfaltenden und in den Raum greifenden Bewegungen. Die abgebildeten Collagen, denen unterschwellig etwas Unheimliches anhaftet, beinhalten durch ihre spiegelbildliche Wiederholung auf der versteckten Innenseite ein zusätzliches Moment der Überraschung.
The American artist Vincent Fecteaus abstract sculptures defy summary description. Out of everyday staples like papier-mâché, cardboard, pictures from magazines, and paint, he fashions complex objects in which spaces simultaneously collapse and explode. Reminiscent, in many instances, of the elemental forms of early twentieth-century art, his works evoke associations ranging from utopian architecture and avant-garde stage design to masks and industrially manufactured components, yet they do not spell out their references. They keep their secret in a deliberate and insistent refusal to communicate definite meaning, indicating the artists emphasis on sculpture as sculpture and the agency it possesses as a real thing in the world.
By adding and removing elements in a playful practice - that is characteristic of his art - Fecteau transforms them into convoluted volumes. His chosen materialpapier-mâchéis fundamental to the creative process in which his objects come into being. While lacking all productive functionality and largely unrelated to the world around us, papier-mâché is also highly malleable and can be applied and removed in layers. Evin-cing distinctive traces of how they were made, the sculptures always bear witness to the hand that made them. The immediacy of physical contact as the artist kneaded, modeled, and massaged the material is unmistakable in the finished objects. Their tactile physicality and the surfaces structured by monochrome fields lend them a peculiar bodily presence. The distinctive aesthetic blends baroque ornateness with a hint of futurist eroticism.
The beholders are actively involved in making sense of Vincent Fecteaus work, which presents very different aspects depending on their vantage point. Seen from the sides, for example, the sculptures appear as fairly slender closed forms, while their front and rear views possess depth, with openings re-vealing multiple staggered interiors as in a diorama or zograscope. Fecteau perpetually translates one formal logic into another; gifted with a subtle sense of ambivalence, he probes its potential to offer resis-tance to the blunt assertion of the normal. Ambiguity is thus not just a formal attribute but in fact the true subject of the works and the anchor of their social and political dimension.
The artists book Vincent Fecteau has created on occasion of an exhibition in the Viennese Secession was conceived as an object. It not only attests to his powerful fascination for architecture, interior design, and decoration, but also reflects considerations similar to those that went into the sculptures he was working on at the same time. The special accordion-style binding, for example, introduces a tension between antithetical tendencies of folding up and expansion into space. The collages with their faintly sinister air appear in mirror-inverted duplicate on the hidden interior pages, another instance of unexpected revelation.
ISBN: 978-3-95763-337-8,
2016,
56Seiten,
Revolver Publishing Berlin,