Mich interessiert, wie Menschen auf eine absurde Mischung gegensätzlicher Emotionen zurückgreifen, wenn sie sich in Extremsituationen befinden und Angst haben, und ich möchte, dass meine Arbeiten beim Betrachter ähnlich widersprüchliche Empfindungen hervorrufen. Ich kombiniere Konfliktsituationen, um peinliche Figuren oder Charaktere zu kreieren, die an Teenager erinnern mögen, welche im Stadium zwischen Kindheit und Erwachsensein gefangen sind. Diese Charaktere wirken einerseits bedauernswert, andererseits aber auch albern, so dass sie sowohl Mitleid als auch gequältes Lachen hervorrufen. (Erica Eyres)
Bitte, Mutti?!
Auch mit ihren Videoarbeiten vermag Erica Eyres wenigstens zu verstören, wenn nicht nachhaltig in Bann zu ziehen. Wiederum sind es ambivalente Eindrücke und Gefühle, welche die Künstlerin sowohl am Beispiel ihres filmischen Personals demonstriert als auch über dieses beim Betrachter evoziert.
Alle Charaktere ihrer Videoarbeiten verkörpert Eyre selbst. Vor sets, die an jene oben erwähnter Schnappschüsse erinnern, agieren dann Figuren, die zunächst auf einen wenig geschickten Maskenbildner schließen lassen: Riesige Nasen lassen die mitunter breit verschmierte Modelliermasse erkennen, aus denen sie geformt sind, überdimensionale, künstliche Zähne behindern beim Sprechen und Blut fließt häufig als himbeerrote Farbe ungeniert ?falsch? dahin - so schnuddelig die Sets, so eklig die Staffage.
Ganz offensichtlich wird hier also inszeniert und ?gespielt?, und das ?Gespielte?, so ließe sich schlussfolgern, ist demnach keine Illusion, sondern Realität.
Cliquenverhalten von Teenies und stressige Mutter-Kind-Beziehung
Während die Künstlerin in ihren Videos Without Arms (2005) und Destiny Green (2006) das Cliquenverhalten bzw. das verbindende, kindlich-weibliche Schönheitsideal von Teens und Twens auf unheimliche Art und Weise verhandelt, thematisiert Eyres mit den beiden in Erfurt zu sehenden Arbeiten Jenny Johnson und Baby Marleena (beide 2006) das (traumatische) Verhältnis von Mutter und Kind. Dagegen widmet sich die Künstlerin in ihrem neuesten Video Commercials (2007) dem Phänomen der Zurschaustellung wie eben der Kommerzialisierung von Privatem in Reality TV und Talk Shows. Äußerst geschickt bedient sich die Künstlerin sowohl medienspezifischer Strategien aus Film und Fernsehen wie märchenhafter Motive und ästhetischer Kategorien des Schauerromans und des Surrealismus, um Unbewusstes, Verdrängtes und dessen Ursachen wie nebenbei zu Tage zu fördern. So erzeugt sie vielschichtig-dichte Bilder, die den tragikomischen Alltagssituationen entsprechen, denen man sich auch im wirklichen Leben nicht entziehen kann. Lachen befreit?
Silke Opitz, Kuratorin
I am interested in how humans create an absurd mixture of conflicting emotions when they are faced with overwhelming situations and anxiety. Through videos and bodies of drawings, I use humour and narrative to examine the psychology behind disturbing human behaviours.
My videos mimic television genres such as documentaries, reality shows and family sitcoms, and feature characters that are seemingly banal, but inevitably reveal the absurdity of their lives. My father's profession as a child psychologist impacted significantly on my work, and helped to form a basis for my interest in abnormal psychology and dysfunctional families. I seek to question disturbing behaviours, where they stem from and how they are perpetuated by day-to-day life. I aim to develop each character's person with a sense of the uncanny so that the viewer will recognise aspects of themselves or others, thereby adding to their voyeuristic discomfort. These sinister depictions are always presented with a sense of dark humour, creating an intricate balance so that the viewer feels both repulsion and compassion. By employing satire, I wish to extract an awkward laughter, to explore the tensions between what is funny and what is stark and confrontational. (Erica Eyres)
The first solo exhibition of Glasgow based artist Erica Eyres (born 1980, Winnipeg, CAN) 2008 in Germany focused on female roles and behaviour. Already the title of the show, the short phrase or even plea Bitte, Mutti?! (Mom, please?!), describes the ambivalent and intricate relationship between mother and daughter, girl and woman. Both the videos ?Baby Marleena? and ?Jenny Johnson? are dealing with this by a very absurd, physically and psychologically violent plot. All the characters in the videos are played by Erica Eyres herself. However, for her delicate, obscure drawings of posing girls and women she used adverts from magazines, the self-portraits of the very women often taken with their camera phones. By overacting and -staging Eyres is pointing out often ridicules, but helplessness efforts to look impressive.
The booklet Bitte Mutti?! offers an introduction into some of Erica Eyres astonishing videos and drawings, including a text by curator and art historian Silke Opitz and an artist interview.
Frankfurt/Main 2008, 24 Seiten, zahlr. Abbl., 26 x 21 cm, broschiert, Deutsch/Englisch
ISBN 978-3-86588-463-3